Nach der Beinahe-Katastrophe einer Boeing 737-9 Max in den USA scheinen sich die Ermittler der US-Luftfahrtbehörde FAA sicher zu sein, die Ursache gefunden zu haben. Vor drei Wochen hatte sich bei einem Alaska-Airlines-Flug ohne erkennbare äußere Einwirkung ein großes Rumpfteil aus dem Flugzeug gelöst. Die Behörde genehmigte in der Nacht zu Donnerstag ein Inspektionsverfahren, das alle 170 Flugzeuge des speziellen Typs durchlaufen müssen, um wieder fliegen zu dürfen. Eine gute Nachricht für Boeing, die allerdings mit einigen schlechten im Gepäck kommt.
Knapp drei Wochen ist es her, dass die 170 Menschen an Bord des Alaska Airlines Flug 1282 nach dem Start in Portland plötzlich einen lauten Knall hörten und mit Schrecken ein metergroßes Loch in der Außenhaut klaffen sahen. Der Sog des Druckverlustes in 5000 Metern Höhe war so groß, dass es einem 15-jährigen Fluggast das T-Shirt auszog und ihn beinahe trotz Gurt in die Tiefe gerissen hätte.
Nur durch einen großen Zufall waren ausgerechnet die beiden Plätze direkt neben dem Loch nicht besetzt. Schnell stellte sich heraus, dass das herausgerissene Teil eine Art Stopfen war, der bei dem Flugzeugtyp anstelle eines optionalen Notausgangs montiert ist. Bis zur Klärung des Vorfalls müssen seither 171 Flugzeuge mit derselben Konfiguration am Boden bleiben.
Überprüfung, ob Rumpfteil angeschraubt ist
Nach der Entscheidung der FAA dürften die betroffenen Flieger sehr bald wieder in der Luft sein. Alaska Airlines kündigte an, bereits am Freitag wieder Flüge mit 737-9 Max durchzuführen. Denn die Sicherheitsprozedur zur Wiedererlangung der Flugerlaubnis dauert nur zehn Stunden und zeugt von der unfassbaren Schludrigkeit und Banalität, die beinahe Menschenleben gekostet hätte: Die Techniker sollen nachschauen, so die Quintessenz der FAA-Direktive, ob die betreffenden Rumpfteile auch festgeschraubt sind und dies nachholen, falls es nicht der Fall ist.
Schon in den vergangenen Wochen war durchgesickert, dass diese Selbstverständlichkeit nicht nur bei der Unglücksmaschine offenbar keine war. Bei diversen weiteren Flugzeugen auch von anderen amerikanischen Airlines wurden ebenfalls lose Teile festgestellt – in Europa fliegt keine Airline diesen Typ.
Unklar blieb die Frage, wie weitreichend dieser gravierende Sicherheitsmangel ist und ob er womöglich auch ganz andere Maschinen betreffen könnte. Boeing hatte darauf verwiesen, dass die Rümpfe inklusive der Stopfen vom Zulieferer Spirit Aerosystems aus Wichita stammten. Dieser beliefert auch Airbus.
Doch nun weist laut einem Bericht der Seattle Times einiges darauf hin, dass das Problem wohl eher nicht in Wichita liegt, sondern in Renton in der Endmontage von Boeing selbst. Die Zeitung zitiert einen anonymen Whistleblower, der vorgibt, Einblick in den Vorgang zu haben. „Der Grund, warum die Tür wegflog, ist in Boeings eigenen Unterlagen schwarz auf weiß angegeben“, wird dieser wiedergegeben.
Laut dem Bericht habe Spirit zwar den Rumpf samt Stopfen geliefert. Doch bei Boeing sei das Paneel vorübergehend demontiert und anschließend dann falsch wieder eingebaut worden. Aus den Unternehmensunterlagen gehe hervor, dass vier Bolzen, die das Einbauteil im Rahmen sichern sollten, „nicht installiert waren, als Boeing das Flugzeug auslieferte.“ Stimmt diese Darstellung, zu der es bislang von keinem der beteiligten Hersteller eine Stellungnahme gibt, dann läge die Verantwortung für den Vorfall demnach ausschließlich bei Boeing.
Der Versuch von Boeing, nach dem Absturz zweier 737 Max mit vielen Toten vor fünf Jahren Vertrauen wieder herzustellen, scheint damit vorerst gescheitert. Wie tief greifend das Misstrauen in der amerikanischen Luftfahrtbehörde ist, zeigt die Ankündigung, die die Kontrolleure in dieser Woche mit ihrer Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme der 737 Max gleich mitschickten.
Boeings Probleme in der Qualitätskontrolle seien „inakzeptabel“, erklärte Behördenchef Mike Whitaker. Deshalb werde die FAA bis auf Weiteres keine Ausweitung der Produktion von Boeings meistverkauftem Flugzeugtyp 737 erlauben. Der Expansionsstopp würde erst aufgehoben, wenn seine Behörde davon überzeugt sei, dass Boeing seine Qualitätsprobleme gelöst habe.
Für Boeing könnte diese Nachricht weit folgenschwerer sein als das Stopfen-Problem selbst. Die Luftfahrtbranche befindet sich derzeit in einer historischen Wachstumsphase, die Bestellungen der Airlines reichen schon jetzt bis zum Ende des Jahrzehntes. Den beiden großen Herstellern fehlen Produktionskapazitäten, um den Bedarf kurzfristig zu decken. Boeing musste schon im vergangenen Jahr seine Wachstumsziele reduzieren und droht nun, im Rennen mit Airbus noch weiter zurückzufallen.