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Fehmarnbelttunnel

Sechs Millionen Tonnen Stahlbeton für eine historische Verbindung

Autorenprofilbild von Olaf Preuß
Von Olaf PreußWirtschaftsreporter
Veröffentlicht am 02.02.2024Lesedauer: 8 Minuten
Der Bauingenieur Markus Just von Femern A/S steht in einem Tunnelsegment
Der Bauingenieur Markus Just von Femern A/S steht in einem TunnelsegmentQuelle: Bertold Fabricius

In einer Fabrik in Rødbyhavn hat die Produktion der Bauteile für den weltweit längsten Absenktunnel begonnen. Nach dessen Fertigstellung soll das Werk stehenbleiben und die regionale Wirtschaft beleben – etwa mit Projekten der Offshore-Windkraft.

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Da steht er, der Fehmarnbelttunnel, jedenfalls ein kleines Stück davon, mitten in der Fabrikhalle in Rødbyhavn, umgeben von vielen Menschen und Maschinen. Frisch betoniert ist das Tunnelsegment und vorbereitet zur weiteren Montage. Arbeiter haben das 24 Meter lange, neun Meter hohe und 42 Meter breite Bauteil in den Wochen zuvor in Form gebracht, mit einem „Bewehrungskorb“, der aus Armierungsstahl besteht. Die Struktur verschlossen sie dann mit einem Verschalungssystem und gossen 3300 Kubikmeter Beton hinein, 30 Stunden dauert so eine Betonage jedes Mal. Sobald ein Segment ausgehärtet ist, wird es von hydraulischen Pressen 25 Meter weit verschoben, um Platz für das nächste zu schaffen. Jedes Segment wiegt mehr als 8000 Tonnen, so viel wie ein kleines Frachtschiff.

Auf einer Länge von rund 18 Kilometern lässt das staatliche dänische Unternehmen Femern A/S zwischen den Inseln Lolland und Fehmarn einen Tunnel durch die Ostsee bauen, gemäß dem Staatsvertrag zwischen Dänemark und Deutschland von 2008. Es ist der längste sogenannte „Absenktunnel“ der Welt – ein Tunnel, der nicht unter der Erde hindurchgebohrt, sondern in eine vorbereitete Rinne am Meeresboden hineingelegt wird. Aus den Tunnelsegmenten werden im Baukastensystem Elemente montiert, und daraus entsteht dann der gesamte Tunnel. Tausende Fachkräfte aus vielen Ländern arbeiten an dem Bauwerk, das bis 2029 vollendet sein soll.

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„Wir fertigen die 79 Standard-Tunnelelemente und die zehn Spezialelemente hier in der Fabrik in Serie“, sagt der deutsche Bauingenieur Markus Just (50), der die Abläufe in der Fabrik mit koordiniert. „Der Tunnel wird dann von beiden Seiten aus verlegt, von Rødbyhavn und von Puttgarden aus. Wir beginnen dieses Jahr mit dem ersten Tunnelelement, das an das Portal in Rødbyhavn angeschlossen wird.“

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Neben dem Fährhafen von Rødbyhavn hat Femern A/S im vergangenen Jahr damit begonnen, die Bauteile für den Fehmarnbelttunnel zu produzieren. Die Fabrikhalle, die nahe der nördlichen Tunneleinfahrt errichtet wurde, wirkt wie eine Flugzeugwerft, und groß wie Passagierjets ist auch das, was aus dem Werk herauskommt. Jeweils neun Tunnelsegmente werden zu einem der 217 Meter langen Standard-Tunnelelemente zusammengefügt. Stück für Stück schiebt die Mechanik die riesigen Stahlbetonkörper auf Betonschienen aus der Halle heraus in ein Becken hinein. Das Becken wird später geflutet, um die Tunnelelemente auf das Meer hinauszubringen zu können. Fünf Montagelinien in drei Hallen hat die Fabrik, dazu eine weitere unter freiem Himmel.

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Mit hydraulischen Pressen werden die Tunnelelemente Stück für Stück weiter aus der Fertigungshalle geschoben
Mit hydraulischen Pressen werden die Tunnelelemente Stück für Stück weiter aus der Fertigungshalle geschobenQuelle: Bertold Fabricius

Seit Ende 2020 setzt Femern A/S mit zwei Baukonsortien das derzeit größte nordeuropäische Verkehrsprojekt um, bislang sind die Dänen mit den komplexen Arbeiten im Zeitplan. Insgesamt werden in der Tunnelelementfabrik in Rødbyhavn rund sechs Millionen Tonnen Stahlbeton verbaut. Die Segmente für die Standard-Tunnelelemente werden in den Hallen gefertigt und zusammengesetzt. Die zehn Spezialelemente, die ein zusätzliches Kellergeschoss für die Tunneltechnik enthalten, werden unter freiem Himmel jeweils in einem Stück aus Stahlbeton gebaut.

Just steht im eisigen Winterwind auf dem Schleusentor an einem der Becken und erklärt die weitläufige Anlage. Auf der an diesem Tag rauen Ostsee ziehen die Fähren von Scandlines ihre Bahnen zwischen Puttgarden und dem nahegelegenen Fährhafen von Rødbyhavn. Rund 45 Minuten benötigen sie für eine Strecke. Die Reederei Scandlines will ihren Betrieb auch nach der Einweihung des Tunnels Ende des Jahrzehnts weiter aufrechterhalten. Autos sollen den Tunnel künftig innerhalb von zehn Minuten durchqueren, Schnellzüge innerhalb von sieben Minuten.

Der Tunnel wiederum braucht, wenn das Jahrhundertbauwerk funktionieren soll, eine neue Inlandsanbindung an die Schiene auch in Deutschland. Im Dezember startete die Deutsche Bahn den Aus- und Neubau der insgesamt 88 Kilometer langen Strecke zwischen Puttgarden und Lübeck. Zwischen Kopenhagen und Hamburg sollen ICE-Züge künftig innerhalb von zweieinhalb Stunden fahren, das ist etwa die Hälfte der bisherigen Zeit. Für den Güterverkehr kürzt der Fehmarnbelttunnel die bestehende Route über Flensburg und Fredericia um etwa 160 Kilometer ab. Auch der in Hamburg umstrittene Neubau der Autobahn A26 Ost südlich des Hafens soll dazu beitragen, Skandinavien durch den Fehmarnbelttunnel enger an Kontinentaleuropa anzubinden.

Die Schalung, in der die Tunnelsegmente betoniert werden, wurde speziell für das Projekt maßgefertigt
Die Schalung, in der die Tunnelsegmente betoniert werden, wurde speziell für das Projekt maßgefertigtQuelle: Bertold Fabricius

Vor Jahren schon zeigte Femern A/S in einem Animationsfilm, wie die Fabrik für die Tunnelelemente funktionieren soll. So steht sie nun in XXL an der Küste der Ostsee, exakt konzipiert für den Bau des Tunnels. „Bislang sind 15 Segmente fertig betoniert, für weitere elf Segmente sind die Bewehrungskörbe aus Armierungsstahl im Bau“, sagt Just. „Die Produktion der ersten Segmente dauerte noch etwa acht Wochen, weil wir Erfahrungen gewinnen wollten. Derzeit sind wir bei etwa drei Wochen Produktionszeit je Segment, und im weiteren Verlauf wird die Produktionszeit auf etwa eine Woche sinken.“

Rund 2000 Menschen arbeiten mittlerweile auf der Tunnelbaustelle in Rødbyhavn und in der Fabrik. Die meisten von ihnen wohnen in einem Containerdorf auf dem Areal. Zwei Mischwerke auf dem Fabrikgelände fertigen den Beton. Schiffe landen die Rohstoffe Sand, Kies und Zement direkt bei der Fabrik an. Die Tunnelelemente fertigen die Arbeiter im Zwei- und später auch im Dreischichtbetrieb. Bei konstant 20 Grad werden die Standardelemente in der Halle in einem Durchgang betoniert, in dem eigens dafür angefertigten hydraulischen Schalsystem. In der Temperatur der Halle lasse sich die nötige Qualität des Betons besser kontrollieren, sagt Just. Das müsse sein, um die für den Tunnel angestrebten 120 Jahre Lebensdauer zu erreichen.

Die jeweils neun Segmente für ein Standardelement sind an den Seiten und an der Unterkante mit riesigen Nuten und Federn versehen, sogenannten „Shear Keys“. Zwar sind die Segmente, wenn sie zusammengefügt sind, nicht fest miteinander verbunden, sie können sich aber nach oben und zur Seite hin nicht bewegen. „Der finale Tunnel ist sozusagen eine lange Kette am Meeresboden“, sagt Just. Die Tunnelelemente enthalten zwei Autobahn-Fahrspuren und eine Bahntrasse je Richtung, außerdem Parkbuchten, Versorgungsschächte und Fluchtwege.

Auf sogenannten Verschubbalken gelangen die Tunnelelemente in ein Schleusenbecken und von dort in die Ostsee
Auf sogenannten Verschubbalken gelangen die Tunnelelemente in ein Schleusenbecken und von dort in die OstseeQuelle: Bertold Fabricius

Den Tunnelgraben durch die Ostsee hat das dafür zuständige Konsortium von Bauunternehmen mittlerweile weitgehend fertiggestellt. Um die Tunnelelemente dorthin zu bekommen, werden sie von der Fabrikhalle aus Stück für Stück auf sogenannten „Verschubbalken“ aus Beton Richtung Süden gedrückt. Wenn ein Element komplett im Becken liegt, wird das Becken geflutet, auf eine Wasserhöhe von zehn Metern über dem Meeresspiegel. Das System funktioniert wie ein Trockendock. Der Betonkörper schwimmt auf, er wird in den tieferen Teil des Beckens gezogen und dann mithilfe eines Schleusentors auf Meeresniveau abgesenkt. In dem vorgelagerten Arbeitshafen werden dann je zwei Pontons über das Tunnelelement gelegt.

Die Leistung der Ingenieure bei diesem Projekt besteht unter anderem darin, das Gewicht der Tunnelelemente genau zu berechnen und auszutrimmen. Ein möglichst großer Teil der Innenausrüstung soll schon in der Fabrik in den Elementen installiert werden, um Zeit und Geld zu sparen: „Dabei geht es um den Einbau von Abwasserleitungen, Ballastbeton, Brandschutzverkleidungen und eine Vielzahl an Zubehör“, sagt Just. „Aber es darf wiederum auch nicht zu viel Innenausstattung sein, denn sonst sind die fertigen Tunnelelemente zu schwer und schwimmen nicht auf.“

An jeweils zwei Pontons hängend, werden die Tunnelelemente im Arbeitshafen mit zusätzlichem Beton beschwert, auf das Meer hinaus geschleppt und an Stahltrossen auf ihre exakte Position in der Rinne abgesenkt. Durch den Druck des Meerwassers wird jedes Element mit der entsprechenden Dichtung an das vorherige angepresst. Nach dem Abpumpen des Wassers im Hohlraum zwischen den Bauteilen entfernen Arbeiter von innen die Schotts in den einzelnen Elementen. Dann werden die Fahrbahndecken, Schienenwege und Oberleitungen installiert.

Arbeiter bauen aus Armierungsstahl die sogenannten Bewehrungskörbe, die Formen für die Tunnelsegmente
Arbeiter bauen aus Armierungsstahl die sogenannten Bewehrungskörbe, die Formen für die TunnelsegmenteQuelle: Bertold Fabricius

Die Inneneinrichtung der Fabrik, das Schalsystem für die Betonierung der Segmente, wird nach dem Ende des Tunnelbaus wieder demontiert. Die Fabrik selbst aber soll stehen bleiben, anders als zunächst geplant. Das dänische Parlament, das Folketing in Kopenhagen, beschloss am 14. Dezember mit 100 zu neun Stimmen, dass die Fabrik in öffentlicher Hand künftig weiterhin Teile für Verkehrswege in Dänemark und im Ausland oder auch Fundamente für Offshore-Windkraftanlagen herstellen soll.

In Süddänemark freut man sich über diese Entscheidung besonders. Die Inseln Lolland, Falster und Møn gelten als strukturschwache Gebiete, geprägt durch Landwirtschaft und Tourismus. Die Region erhofft sich, so wie auch Ostholstein auf der deutschen Seite, durch den Fehmarnbelttunnel einen wirtschaftlichen Aufschwung. „Das war das schönste Weihnachtsgeschenk seit Jahren“, sagt Holger Schou Rasmussen, der Bürgermeister von Lolland Kommune, eines Teils der Insel Lolland, zur Parlamentsentscheidung über die Fabrik. Seit vielen Jahren setzt sich Rasmussen dafür ein, dass die Fabrik über den Bau des Fehmarnbelttunnels hinaus für andere Zwecke erhalten bleibt.

Der Fehmarnbelttunnel ist auf 120 Jahre Lebensdauer ausgelegt
Der Fehmarnbelttunnel ist auf 120 Jahre Lebensdauer ausgelegtQuelle: Bertold Fabricius

Der Tunnelbau war in Deutschland erheblich umstritten und wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beklagt, wegen der ökologischen Auswirkungen auf die Ostsee und auch wegen der Klimabelastungen, etwa durch die Herstellung des Tunnelbetons. Ende 2020 machte das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil den Weg für den Tunnelbau dann auch auf deutscher Seite frei.

In Dänemark sah und sieht man den Fehmarnbelttunnel hingegen vor allem als Chance für eine bessere Entwicklung: „In den kommenden drei bis vier Jahren werden 5000 bis 6000 Menschen hier auf Lolland am Fehmarnbelttunnel arbeiten“, sagt Schou Rasmussen. „Wir wollen möglichst viele dieser Arbeitsplätze erhalten. Die Fabrik und der Hafen liegen optimal – besonders auch für den Ausbau der Offshore-Windkraft auf Nord- und Ostsee.“