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Hafen Rotterdam

Das Zentrum einer neuen Energiewirtschaft

Autorenprofilbild von Olaf Preuß
Von Olaf PreußWirtschaftsreporter
Veröffentlicht am 11.03.2024Lesedauer: 7 Minuten
„Thialf“, einer der größten Schwimmkräne der Welt, liegt im Hafen von Rotterdam
„Thialf“, einer der größten Schwimmkräne der Welt, liegt im Hafen von RotterdamQuelle: Kees Torn

Europas größter Seehafen Rotterdam positioniert sich als Drehkreuz für eine Wasserstoffwirtschaft und für die Entsorgung von Kohlendioxid – auch für die deutsche Wirtschaft. Der Hamburger Hafen fällt unterdessen immer weiter zurück – nicht nur wegen eigener Versäumnisse.

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Boudewijn Siemons steht unter Strom, seine Aufgabe geht er dynamisch an. Der neue Chef der Hafenverwaltung Port of Rotterdam Authority will Europas größten Seehafen umbauen für die Energiewirtschaft der Zukunft. Dabei soll Rotterdam aber auch das bleiben, was es lange Zeit schon ist: der führende Container- und Massenguthafen des Kontinents. „Rund 13 Prozent des europäischen Energiebedarfs werden jährlich über den Hafen von Rotterdam importiert“, sagt er bei einem Treffen im „World Port Center“ an der Maas. „Wir wollen auch künftig – in einer regenerativen Energiewirtschaft – der größte Energiehafen Europas sein.“

Kurz zuvor an diesem Morgen Ende Februar hat Siemons die Zahlen für 2023 präsentiert. Der Güterumschlag ist rückläufig, wie derzeit in den meisten europäischen Seehäfen. Sechs Prozent Minus verzeichnet Rotterdam im Vergleich zu 2022, die meisten Produktgruppen sind betroffen, vom Containerumschlag bis zur Einfuhr von Rohöl. Doch das scheint den Manager nicht zu frustrieren. Zwei Stunden lang diskutiert er mit den Journalisten über die Zukunft des Hafens: über den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft oder über den Export von Kohlendioxid (CO₂) zur Endlagerung unter dem Meer mithilfe der sogenannten CCS-Technologie.

Boudewijn Siemons, Chef der Hafenverwaltung Port of Rotterdam Authority
Boudewijn Siemons, Chef der Hafenverwaltung Port of Rotterdam AuthorityQuelle: Olaf Preuß

Der Kontrast zwischen den Häfen von Rotterdam und Hamburg – Nummer eins und Nummer drei in Europa – ist deutlich. Hamburg fiel 2023 auf ein Niveau von 7,7 Millionen Containereinheiten (TEU) zurück. Der Gesamtumschlag des Hafens entsprach fast genau dem Stand des Jahres 2004. Rotterdam hingegen legte beim Gesamtumschlag weiter zu und beim Containerumschlag von 8,3 Millionen TEU im Jahr 2004 auf 13,4 Millionen TEU im Jahr 2023. Weitere vier Millionen TEU Kapazität will der Hafen bei seinen beiden modernsten Terminals auf der Maasvlakte schaffen.

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Das wird den Wettbewerbsdruck in der Region weiter erhöhen. Die Niederländer finanzieren und nutzen die Chancen, die ihr Hafen direkt an der Nordsee bietet. Deutschland indes schöpft Hamburgs Potenziale als tief im Inland liegender, eng per Bahn vernetzter Universalhafen nicht annähernd aus. Auf eine nationale Hafenstrategie und auf mehr Unterstützung für die Seehäfen wartet die maritime Wirtschaft seit Jahren. Im März will die Bundesregierung endlich ein Konzept vorlegen.

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„Die bisherigen Bemühungen reichen nicht aus, um den Hafen als wirtschaftliches Herz der Stadt zukunftsfähig aufzustellen“, heißt es diese Woche in einem Impulspapier der Handelskammer Hamburg und des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg (UVHH) – es ist einer von vielen solcher Appelle an die Politik in jüngerer Zeit. Zwar will der rot-grüne Senat die weltgrößte Reederei MSC mit bis zu 49,9 Prozent am städtischen Hafenkonzern HHLA beteiligen und nur eine knappe Mehrheit von 50,1 Prozent für Hamburg behalten.

Das soll ein Signal für den Aufbruch senden, bewirkt aber das Gegenteil: Hafenarbeiter demonstrieren gegen das Vorhaben, die Opposition in der Hamburgischen Bürgerschaft geißelt den „Ausverkauf“ der HHLA. Auch sonst stehen die Zeichen auf Blockade: Denkmalschützer fordern den Erhalt der baufälligen Köhlbrandbrücke aus dem Jahr 1974. Und die Umweltverbände Nabu und BUND wollen vor dem Bundesverwaltungsgericht den Bau der südlichen Hafenquerung verhindern, der Autobahn A26 Ost.

Baustelle des Elektrolyseurs Holland Hydrogen 1 in Rotterdam
Baustelle des Elektrolyseurs Holland Hydrogen 1 in RotterdamQuelle: Olaf Preuß

Die Niederländer bauen währenddessen unbeirrt an ihrem Hafen, zuletzt mit der Landaufspülung Maasvlakte 2 an der Nordsee mehr als 40 Kilometer westlich des Stadtzentrums von Rotterdam. Neue, hoch automatisierte Containerterminals entstanden dort und auch Industriestandorte. Noch auffälliger ist, dass der Hafen von Rotterdam – ähnlich wie Antwerpen – dem Hamburger Hafen auch bei der Transformation der Energiewirtschaft weit voraus ist. Das war schon beim Import von tief gekühltem, verflüssigtem Erdgas (LNG) so und setzt sich nun beim Thema Wasserstoff fort.

„Holland Hydrogen 1“ heißt das erste von mehreren Projekten im „Conversion Park“ auf der Maasvlakte. Der Energiekonzern Shell baut dort Europas derzeit größte Elektrolyseanlage mit 200 Megawatt Leistung. Das Gerüst der Halle steht, bald werden die Anlagen des Herstellers ThyssenKrupp Nucera dort installiert. Elektrolyseure spalten Wasser chemoelektrisch in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff auf. Wasserstoff dient als Energiespeicher. Wird die Elektrolyse mit Strom etwa aus Wind- oder Solarkraftwerken betrieben, spricht man von „grünem“ Wasserstoff.

Der Standort auf der Maasvlakte sei ideal, sagt Shell-Sprecher Marc Potma beim Blick vom Besucherzentrum auf die Baustelle. Der Strom für den Elektrolyseur soll – bilanziell – aus dem Offshore-Windpark Hollandse Kust Nord kommen, an dem Shell beteiligt ist. Den Wasserstoff wiederum wird vor allem die Shell-Raffinerie im Hafen von Rotterdam nutzen. Dort gewinnt der Konzern Wasserstoff bislang aus der Aufspaltung von Erdgas. Das Kohlendioxid, das dabei freigesetzt wird, entweicht in die Atmosphäre. Rund 22.000 Tonnen „grünen“ Wasserstoff im Jahr soll das rund eine Milliarde Euro teure Holland Hydrogen 1 von Ende 2025 an bei voller Auslastung erzeugen. Das Unternehmen Gasunie wiederum stellt bis 2025 eine 30 Kilometer lange Wasserstoff-Pipeline im Hafen von Rotterdam fertig.

Modell des Elektrolyseurs Holland Hydrogen 1
Modell des Elektrolyseurs Holland Hydrogen 1Quelle: Olaf Preuß

Bis 2030 will der Hafen seinen Ausstoß an Kohlendioxid auf 9,3 Millionen Tonnen im Jahr senken. 2022 emittierte der Rotterdamer Hafen – der unter anderem auch Europas größtes Konglomerat von Raffinerien ist – 22,6 Millionen Tonnen CO2, mehr als doppelt so viel wie ganz Hamburg. Mehr als 40 Prozent der Einsparung will die Rotterdamer Hafenverwaltung in Kooperation mit den Unternehmen durch die Abtrennung von CO2 und den Export in unterseeische Lagerstätten erreichen.

Deutschland öffnet sich politisch erst jetzt für die Nutzung der CCS-Technologie. Bislang ist die unterirdische Einlagerung von Kohlendioxid auf deutschem Territorium und in den deutschen Seegebieten verboten. Im Hafen von Rotterdam hingegen liegen schon die Pipelinerohre für das erste CCS-Vorhaben, das dort realisiert wird. Die Kapazität des Projektes „Porthos“ von 2,5 Millionen Tonnen im Jahr sei von den beteiligten Konzernen bereits ausgebucht, sagt Boudewijn Siemons. Das frühere Nordsee-Gasfeld, das von 2026 an im Rahmen von „Porthos“ mit CO₂ befüllt werden soll, hat eine Kapazität für etwa 15 Jahre. Und das nächste und weit größere Projekt mit dem Namen „Aramis“ und einer Kapazität von bis zu 22,5 Millionen Tonnen im Jahr treiben mehrere Unternehmen bereits gemeinsam voran.

Dabei geht es nicht nur um die Dekarbonisierung des Hafens: „Wir wollen künftig Wasserstoff nach Nordrhein-Westfalen weiterleiten“, sagt Siemons, „und umgekehrt verflüssigtes Kohlendioxid von Nordrhein-Westfalen in CCS-Projekte durch den Hafen von Rotterdam auf die Nordsee bringen.“ Für die CO₂-Einlagerung unter dem Meer entsteht in den Niederlanden, Norwegen, Dänemark und Großbritannien eine Infrastruktur, die auch die Wirtschaft in Deutschland nutzen will.

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Die CCS-Technologie ist für den Übergang gedacht, damit Europa seine Klimaziele erreichen kann. „Grüner“ Wasserstoff hingegen, in Europa selbst erzeugt wie auch aus anderen Weltregionen importiert, soll Europas Energieversorgung langfristig mit sichern. „Wir haben das Ziel, bis 2030 zwei Gigawatt – 2000 Megawatt – Elektrolyseleistung im Hafen von Rotterdam zu realisieren“, sagt Siemons. Es gebe dabei noch Unsicherheiten: „Aber wenn man ein Ziel wie die Transformation der gesamten Energiewirtschaft innerhalb weniger Jahre erreichen will, dann muss man auch nach den Sternen greifen.“ Der Hafen von Rotterdam habe die notwendigen Flächen, „und wir haben interessierte Unternehmen – das müssen wir jetzt zusammenbringen“.

Das stillgelegte Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg
Das stillgelegte Kohlekraftwerk Hamburg-MoorburgQuelle: Bertold Fabricius

Auch der Hamburger Senat will den Hafen zum Zentrum einer neuen Energiewirtschaft machen. In einem „Sustainable Energy Hub“ im südlichen Hafenteil, wo heute bereits vorwiegend Energieunternehmen tätig sind, sollen ökologisch nachhaltige Formen der Energieerzeugung und der Umwandlung entwickelt werden. Sehr viel zu sehen ist davon bislang allerdings noch nicht. Das wichtigste der Hamburger Projekte ist der Bau einer Elektrolyseanlage mit 100 Megawatt Leistung am Standort des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg an der Süderelbe.

Die noch offene Förderung durch den Bund hat das Projekt verzögert. „Gemäß Planungsstand nehmen wir den Elektrolyseur 2026 in Betrieb“, teilen die Hamburger Energiewerke mit, die das Vorhaben gemeinsam mit dem Hamburger Finanzunternehmen Luxcara realisieren. In der ersten Ausbaustufe ist die Anlage für eine Kapazität von jährlich rund 11.500 Tonnen „grünem“ Wasserstoff ausgelegt: „Später ist eine Skalierung der Elektrolyseleistung auf bis zu 800 Megawatt vorgesehen.“

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Die Unternehmen warten auf den Bescheid des Bundes für die Förderung des Projektes. „Zur Investitionssumme können wir aktuell keine Angaben machen, da diese unter anderem auch von den Kosten für den Elektrolyseur abhängig ist. Diesen werden wir erst nach Zusage der nationalen Fördergelder bestellen“, heißt es. Ursprünglich war – neben anderen Konzernen – auch Shell an dem Projekt in Moorburg beteiligt. Stattdessen errichtet der Energiemulti nun eine doppelt so starke Anlage in Rotterdam – wegen der dort besseren wirtschaftlichen Perspektiven.