icon icon-welt-goWELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr AssistentJournalismus neu erleben und produktiver werden
Haushaltskrise des Bundes

Was aus Energiewende-Visionen im Schatten der Realität wird

Autorenprofilbild von Olaf Preuß
Von Olaf PreußWirtschaftsreporter
Veröffentlicht am 04.12.2023Lesedauer: 6 Minuten
Ein Wasserstoffprojekt in der Raffinerie Heide scheiterte Mitte November
Ein Wasserstoffprojekt in der Raffinerie Heide scheiterte Mitte NovemberQuelle: Bertold Fabricius

Energiewende-Projekte im Norden platzen, wie in der Raffinerie Heide, oder kommen nur langsam voran. Die Haushaltsmisere des Bundes verschärft die Lage noch: Auch die Wasserstoff-Elektrolyseanlage am Kraftwerk Moorburg ist ohne Subventionen nicht zu realisieren.

Anzeige

Auf dem Gelände des schwedischen Konzerns Northvolt dröhnen Raupen, Bagger und Radlader dieser Tage über frisch planierte Dämme und schlammige Pisten, wie seit Monaten schon. Auf dem früheren Bauernland bei der schleswig-holsteinischen Kreisstadt Heide werden Straßen gebaut, eine Gaspipeline umgelegt, archäologische Funde konserviert. Drei alte Bauernhäuser und eine Biogasanlage wurden und werden abgerissen. Eine der weltweit größten Batteriefabriken für Elektroautos will Northvolt im Landkreis Dithmarschen errichten und damit bis zu 3000 Arbeitsplätze in der Region schaffen.

Bei Heide will der schwedische Konzern Northvolt eine „Gigafactory“ für Batterien von Elektroautos bauen
Bei Heide will der schwedische Konzern Northvolt eine „Gigafactory“ für Batterien von Elektroautos bauenQuelle: Bertold Fabricius

Doch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November, mit der daraus folgenden 60-Milliarden-Euro-Lücke im Bundeshaushalt, ziehen auch bei Northvolt Zweifel ein: „Wir treiben die Dinge hier in dem klaren Willen voran, diese Fabrik zu bauen“, sagte Nicolas Steinbacher, Projektleiter von Northvolt für Deutschland, zu WELT AM SONNTAG. „Aber wenn bisherige Zusagen nicht eingehalten werden, wäre diese Fabrik hier so nicht darstellbar.“

In vielen deutschen Städten und Regionen, auch in Hamburg, herrscht Sorge, was nun werden soll aus der Energie- und Mobilitätswende. Die Umwidmung von 60 Milliarden Euro Krediten aus der Pandemiebekämpfung in einen Fördertopf für Klimaschutz und Infrastruktur war verfassungswidrig, das hat das höchste deutsche Gericht der Bundesregierung mit seinem Urteil attestiert. „Wegweisende Hamburger Projekte im Bereich Wasserstoff und Energiespeicherung drohen nun verzögert zu werden oder ganz zu scheitern“, sagt Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg. „Das würde die Entwicklung des norddeutschen Standorts und seiner gesamtdeutschen Bedeutung für fossilfreie Energie massiv gefährden.“

Anzeige

Es sei gut, dass die Bundesregierung intensiv an Lösungen arbeite, „denn die Unternehmen brauchen jetzt so schnell wie möglich Klarheit, damit sie investieren können“. Am Donnerstag berieten in Hamburg die Regierungschefs der Nord-Länder über die neue Situation, sie drängten auf die Einhaltung von Bundeszusagen.

Anzeige

Lesen Sie auch

Das spektakuläre Urteil des Bundesverfassungsgerichts überdeckt allerdings, dass wesentliche Energiewende-Projekte in Hamburg und Norddeutschland ohnehin bereits stocken oder gar scheitern. Der frühere Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos), der von Ende 2018 bis Ende 2022 amtierte, hatte den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zu seinem Topthema gemacht – und der Umbau des 2021 stillgelegten Vattenfall-Steinkohlekraftwerks Moorburg zu einem Elektrolyse-Zentrum sollte dafür das Vorzeigeprojekt sein. Westhagemann trieb das Vorhaben gemeinsam mit dem politisch für Moorburg hauptverantwortlichen Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) voran.

Doch das „Hamburg Green Hydrogen Hub“-Konsortium (HGHH), bestehend aus der Stadt Hamburg, dem japanischen Industriekonzern Mitsubishi Heavy sowie aus den Energiekonzernen Shell und Vattenfall, zerfiel bald nach dem Start wieder. Nun will der städtische Energieversorger Hamburger Energiewerke eine 100 Megawatt starke Elektrolyseanlage gemeinsam mit dem auf die Energiewende spezialisierten Hamburger Vermögensverwalter Luxcara aufbauen.

Shell gab sich in diesem Sommer gar nicht erst die Mühe, die Gründe für den Ausstieg schönzureden. Bei dem Weltkonzern glaubte man nicht an die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Hamburger Projektes. „Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse und deren Vergleich mit anderen Shell-Wasserstoffprojekten hat Shell beschlossen, den Hamburg Green Hydrogen Hub in Moorburg zu verlassen und sich aus dem HGHH-Konsortium zurückziehen“, hieß es seinerzeit. „Bei jeder Projektentwicklung prüfen wir mit viel Aufwand alle Anforderungen, bevor wir Entscheidungen treffen – von Technik, Sicherheit, Vorschriften, Stakeholder-Unterstützung bis hin zu Finanzen. So auch in Hamburg.“

Stattdessen investiert Shell nun in andere Großprojekte für den Aufbau einer regenerativen Wasserstoffwirtschaft. In Europas größtem Hafen Rotterdam – Hamburgs wichtigstem Konkurrenzhafen – realisiert Shell derzeit das Projekt „Holland Hydrogen 1“, Europas größten Elektrolyseur mit 200 Megawatt Leistung: „Gleichzeitig arbeiten wir an mehreren Projekten in früheren Phasen rund um den Globus, darunter auch in Deutschland an ,Refhyne II‘ im Rheinland.“

Das stillgelegte Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg soll ein Zentrum zur Wasserstoff-Elektrolyse werden
Das stillgelegte Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg soll ein Zentrum zur Wasserstoff-Elektrolyse werdenQuelle: Bertold Fabricius

Die beiden verbliebenen Projektpartner aber sehen Moorburg weiterhin als idealen Standort: Das nach nur sechs Jahren Betrieb stillgelegte Kraftwerk hat einen 380-Kilovolt-Höchstpannungs-Anschluss, der künftig vor allem norddeutschen Windstrom nach Hamburg durchleiten soll. Der Standort bietet viel Platz und liegt direkt an der Elbe. Dennoch hielt Shell das Projekt nicht für attraktiv – mitten im größten deutschen Seehafen, in der größten deutschen Industriestadt, umgeben von einer dichten Infrastruktur.

Lesen Sie auch

Die Hamburger Energiewerke und Luxcara arbeiten indes am Umbau des Kraftwerks. Im Jahr 2026 – einige Monate später als ursprünglich geplant – soll die Elektrolyseanlage in Betrieb gehen. Allerdings hängt auch die Realisierung des Moorburg-Projektes von Subventionen des Bundes ab – die durch die Haushaltssperre der Bundesregierung über den Klima- und Transformationsfonds nun blockiert sind. Der Bund soll den Hamburg Green Hydrogen Hub im Rahmen der EU-Initiative „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) finanziell unterstützen. Insgesamt rund 520 Millionen Euro Förderung hatte die Bundesregierung 2022 für insgesamt acht Hamburger Wasserstoffprojekte zugesagt, darunter Moorburg. Die Stadt Hamburg wiederum wollte auf dieser Basis 223 Millionen Euro Förderung beisteuern.

Ohne Subventionen sei das Projekt Moorburg gefährdet, teilen die Hamburger Energiewerke auf Anfrage mit. Alternative Fördermöglichkeiten der öffentlichen Hand gebe es derzeit nicht. „Unser Elektrolyseur ist ein Schlüsselprojekt, um die Industrie im Hamburger Hafen zu dekarbonisieren“, sagte Christian Heine, Chef der Hamburger Energiewerke, der WELT AM SONNTAG. „Das EU-Freigabeverfahren für die Fördermittel ist sehr langwierig. Die geplante Inbetriebnahme in 2026 ist dann im Rahmen des Möglichen, wenn die EU-Entscheidung zeitnah fällt und die Bundesregierung Mittel für den Wasserstoffhochlauf absichert.“

Ein Aquiferspeicher für Industrie-Abwärme am Heizkraftwerk Tiefstack lässt sich nicht realisieren
Ein Aquifer-Speicher für Industrie-Abwärme am Heizkraftwerk Tiefstack lässt sich nicht realisierenQuelle: Bertold Fabricius

Der Elektrolyse-Standort Moorburg ist ein Schlüsselelement für den Umbau der Hamburger Energieversorgung. Bereits im Sommer stand fest, dass ein anderes Energiewendeprojekt in der Hansestadt nicht funktionieren würde. Erkundungsbohrungen zum Bau eines Aquiferspeichers für industrielle Abwärme am Kraftwerk Tiefstack blieben erfolglos, der Untergrund führt dort nicht genügend warmes Wasser. Der geplante Aquiferspeicher war Teil der vom Bund geförderten Demonstrationsprojekte des „Norddeutschen Reallabors“.

Norddeutschland soll das Zentrum beim Aufbau einer neuen deutschen Energiewirtschaft werden – das ist die gemeinsame Vision des Nordens, die derzeit einem harten Machbarkeitstest unterzogen wird. Und die Hansestadt will auch in einer regenerativen Energiewirtschaft Deutschlands größter Energiehafen bleiben, so sieht es jedenfalls der Hamburger Senat.

„Die Projekte, die über den Klimatransformationsfonds mitfinanziert werden sollten, sind existenziell wichtig für die Zukunft des Industriestandortes Hamburg“, sagt Matthias Boxberger, Vorstandsvorsitzender des Energieversorgungsunternehmens Hansewerk und Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg (IVH). „Davon hängen nicht nur unsere Klimaziele ab, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.“ Die Ampelkoalition in Berlin müsse „schnell ihre Finanzen ordnen. Und wir brauchen endlich eine Industriepolitik, die die Kräfte des Marktes durch Bürokratieabbau, Steuer- und Abgabensenkungen freisetzt.“

Gescheitert allerdings ist, ganz unabhängig davon, bereits Mitte November ein Vorhaben im Rahmen des Reallabors „Westküste100“. Die Partnerunternehmen der „H2 Westküste GmbH“ beendeten ein Wasserstoff-Projekt in der Raffinerie Heide. „Nach intensiver Prüfung aller Rahmenbedingungen wird das Joint Venture keine positive Investitionsentscheidung treffen. Grund dafür sind insbesondere die gestiegenen Investitionskosten und damit einhergehende große wirtschaftliche Risiken“, teilten die Unternehmen Raffinerie Heide, Ørsted und Hynamics Deutschland mit. Geplant war ein Elektrolyseur mit 30 Megawatt Leistung, der mithilfe des in der Region reichlich zur Verfügung stehenden Windstroms Wasserstoff erzeugen sollte.

Der Wasserstoff wiederum sollte als Rohstoff zur Herstellung von synthetischem Kerosin dienen. Aus der Raffinerie Heide wird vor allem der Hamburger Flughafen mit Treibstoff für die Luftfahrt versorgt. Auch nach der Entscheidung werde man weiter „mit Hochdruck an der Dekarbonisierung der Raffinerie Heide arbeiten“, sagte Roland Kühl, Geschäftsführer der Raffinerie Heide. „Der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft an der Westküste Schleswig-Holsteins spielt hierfür nach wie vor eine wichtige Rolle.“ Jörg Kubitza, Deutschlandchef des weltweit führenden Offshore-Windpark-Betreibers Ørsted, ergänzte: „Ein Projekt lebt von der Wirtschaftlichkeit, und die war hier leider nicht gegeben.“